Die Schulzeit ist die schönste Zeit im Leben.

Wer hat diesen Satz nicht mindestens einmal gehört?

Dass dies aber schon lange nicht mehr für viele Kinder zutrifft, weiß kaum jemand, denn selbst Jahre später spricht kaum jemand über die Erfahrungen, die er mit seinen Mitschülern machen musste.

Was ist, wenn der Ort, an dem man täglich seine Freunde trifft, mehr und mehr zum Albtraum wird? Wenn aus der Freude, etwas Neues zu lernen, panische Angst wird?

 

Auch Lotta bricht ihr Schweigen erst über zehn Jahre nach ihrem Schulabschluss.

 

Mobbing.

Mittlerweile weiß fast jeder, was unter diesem Begriff zu verstehen ist, aber kaum jemand hört wirklich zu. Niemand beschäftigt sich mit den Taten, niemand mit der Seele der Opfer. Kaum ein Täter hat Konsequenzen zu erwarten und doch ist es das Schlimmste, was Kindern in der Schule passieren kann.

Wie verkraftet es ein junger Mensch, wenn sich andere gezielt gegen ihn stellen, nur weil sie sich überlegen fühlen oder Langeweile haben? Was macht das aus einem Kind, das noch nicht weiß, wer es ist und wie es damit umgehen soll?

 

Lotta bezeichnet die Grundschuljahre als die schönsten vier Jahre ihres Lebens. In dieser Zeit war ihr Welt noch in Ordnung, sie liebte es, neue Dinge zu lernen, und sog das Wissen förmlich in sich auf.

Lotta war beliebt und unternahm viel mit Freundinnen.

 

All das hatte ein Ende, als Lotta auf die Realschule wechselte. Weil ihre beste Freundin das Gymnasium besuchte, war Lotta von heute auf morgen auf sich allein gestellt. Dennoch kommt sie trotz Ausgrenzungen anfangs zurecht.

Ihre schlimmsten Jahre sollen die achte und neunte Klasse werden. Vier ihrer Mitschülerinnen grenzen Lotta nicht nur aus, sondern beginnen gezielt, sie kaputtzumachen. Reißzwecken auf ihrem Stuhl, dumme Sprüche und sogar Drohungen sind ihre Mittel.

 

»In den zwei Jahren haben vier Mädchen es geschafft, mich kaputtzumachen. Und das alles nur mit Worten. Ich habe nur noch funktioniert.«

 

Mit zwei Situationen hat Lotta noch heute zu kämpfen. Zum einen die Drohung, man würde ihre Schwester entführen, zum anderen diese Aussage, die einen Tag nach Halloween getroffen wurde:

 

»Wir hätten uns gestern auch eine Maske aufsetzen und sie umbringen können. Es wäre niemandem aufgefallen.«

 

Für Lotta beginnt eine Zeit der Angst. Sie hat Panik in die Schule zu gehen, fährt andere Wege nach Hause und kämpft auch mit gesundheitlichen Folgen. Magen- und Kopfschmerzen waren nur ein Teil, die seelischen Schäden waren größer.

Lottas Wunsch, nach einem normalen Schulalltag scheint zerstört. Sie resigniert, weiß dass sie niemals mit ihren Klassenkameradinnen gemeinsam in die Schule fahren wird, dass sie niemals gemeinsam Hausaufgaben machen oder etwas außerhalb der Schule unternehmen werden.

Nur zwei Mädchen der Klasse halten zu ihr, zumindest im Stillen. Niemand steht für Lotta ein.

Warum ausgerechnet sie ausgewählt wurde, das Opfer zu sein, weiß sie bis heute nicht. Zur Rechenschaft gezogen wurde niemand, aber das war auch nicht Lottas Ziel.

 

»Ich wollte immer nur in Ruhe zur Schule gehen. Das war mein einziger Wunsch.«

 

Doch auch nach ihrem Abschluss kehrt für Lotta keine Ruhe ein. Nicht nur die Mädchen in der Ausbildung machen ihr das Leben schwer, auch zu Hause gibt es Ärger.

Ein Familienmitglied macht ihre Eltern schlecht, ist aggressiv und hat Probleme damit, dass sie sich nicht von ihm beeinflussen lässt. Er verletzt Lotta seelisch, wenn auch nie körperlich, und hält sie klein.

 

»Ich fühlte mich, als wäre ich nichts wert. Wie in der Schule.«

 

In all der Zeit vertraute sich Lotta ihrer Familie nicht an, weil sie sich schämt. Erst Jahre nach ihrem Abschluss entscheid sie sich, eine Therapie zu machen, von der ihr Vater bis heute nichts weiß. Sie wurde wieder der Mensch, der sie immer sein wollte. 

Locker, aufgeschlossen, lebenslustig.

Sie vertraut wieder und öffnet sich anderen gegenüber, so auch ihrem Freund, den sie vor sechs Jahren kennenlernte.

Heute ist Lotta Mutter einer Tochter und liebt ihren Job. Auch wenn es ihr noch immer schwerfällt, über die Erlebnisse während der Schulzeit zu sprechen, findet sie doch ganz klare Worte für alle Schüler in ihrer Situation:

 

»Gebt nicht auf, gebt euch nicht auf. Versucht, mit jemandem darüber zu reden, egal wie schwer es ist. Man darf nie den Glauben an sich selbst verlieren!

Am Ende wird alles gut. Wenn es noch nicht gut ist, ist es auch nicht das Ende.«

 

_______________________

 

Diese Geschichte wurde mir anonym erzählt.