KURZ NACHGEDACHT

DIE KLEINE AUSZEIT MIT FRANIE LEOPOLD


Was gibt es Schöneres, als kurz abzu-tauchen, innezuhalten, seine Gedanken und Gefühle zu sortieren?

In "Kurz nachgedacht" geht es um den berühmt berüchtigten Tellerrand und warum wir hin und wieder bewusst darüber blicken sollten. Gedanken aus dem Leben gegriffen. Mal zum lachen. Mal zum weinen aber immer zu nachdenken!


Die reinste Folter ist das

 

Frau kennt das - ganz sicher! Gut getarnt als Shapewear – Top oder Bodyforming Hemdchen erfreuen sich die modernen Folterinstrumente immer größerer Beliebtheit. Zugegeben, der mittlere Ring ist nicht gerade schön anzusehen. Zeitweise wünscht man sich, er würde wie von Zauberhand verschwinden, oder gnädigerweise auf die Größe eines kleinen, schnuckeligen Kreisverkehrs schrumpfen. Doch das ist nun mal reines Wunschdenken. Und wenn man dann, so wie ich neulich, in die Verlegenheit kommt, sich ein schickes Kleid überzuwerfen, um dann mit schreckgeweiteten Augen festzustellen, dass sich jede Delle, jede Kurve darunter abzeichnet, sucht man verzweifelt nach Abhilfe. 

Also kaufte ich mir ein schwarzes Shapewearhemdchen. Die Vorfreude darauf, dem mittleren Ring zumindest für ein paar Stunden „Lebewohl“ sagen zu können, zerplatzte wie eine Seifenblase, als ich mir, bei dem Versuch das schwarze Hemdchen über den Kopf zu ziehen, den Nacken verrenkte, beinahe die Schulter auskugelte und mein ordentlich zurechtgemachtes Haar aussah, als hätte meine vierjährige Tochter versucht, mir im Schlafzöpfchen zu flechten. Aber Hey – ich hatte es schon so weit geschafft – kneifen galt also nicht. Also rüttelte, zog, zerrte ich, trotz meiner zahlreichen Blessuren, so lange weiter, bis sich dieser unnachgiebige und völlig überteuerte Stofffetzen, wie eine zweite Haut um meine völlig verschwitzten Poren schloss und … ich kaum noch Luft bekam. 

Aber – ich war drin. Yeah! 

Und Tatsache – der mittlere Ring wurde neben Milz, Leber, Rippe eingeklemmt und wie von Zauberhand konnte ich eine halbwegs ansehnliche Silhouette vorweisen. 

Als ich dann jedoch im Begriff war, das Kleid über meinen Oberkörper zu ziehen, passierten zwei Dinge gleichzeitig: Das Hemdchen rutschte wie von Geisterhand geführt immer weiter über meine Hüften hoch zum Bauch und ehe ich wusste, wie mir geschah, gab es einen lauten Knall und der Elastan – Polyamid – Mix verpasste meinen Brüsten eine schallende Ohrfeige! Ohne Witz! Unnötig zu erwähnen, dass der mittlere Ring wieder zurück war. 

Schlussendlich kapitulierte ich dann doch, rief meinen Mann, der mich aus dem Teil rausschütteln musste und verbannte das Hemdchen in den hintersten Winkel meines Kleiderschrankes. Das Kleid zog ich dann trotzdem an und bekam haufenweise Komplimente dafür. Und das obwohl oder vielleicht sogar, weil ich mich nicht verkleidet habe und versucht habe etwas vorzugaukeln was es gar nicht gibt – Perfektion. 

 

Zudem wurde mir eines klar: Wer mich mit meinem mittleren Ring nicht liebt, hat mich mit nem Kreisverkehr erst gar nicht verdient!


"Du, ich und die anderen"

 

Nicht, dass ich das nicht schon geahnt hätte, aber heutzutage, da geht es doch eigentlich immer nur darum, woher man kommt, was man hat und wohin man will. Größer, höher, weiter hinaus. Es wird geschubst und gerempelt ohne Rücksicht auf Verluste. Die Menschen die unseren Weg rein zufällig kreuzen? Was interessieren die mich eigentlich? 

Manche sind leise, in sich gekehrt und verschlossen, dass sie mir erst gar nicht auffallen. Andere wiederum sind schrill, extrovertiert und lachen so laut, dass ich genervt die Augen verdrehe und hoffe, diese Zurschaustellung purer Glückseligkeit möge ja nicht auf mich überspringen. 

Aber manchmal würde es sich lohnen, innezuhalten und einen zweiten Blick zu riskieren. Denn was, wenn die Person, die gerade vor mir steht, etwas ganz besonderes ist? Kann ich wissen, ob der gut aussehende Typ mit dem strahlenden Lächeln und der goldenen Armbanduhr nicht der ist, der heimlich ins Kissen weint, weil die Angst vorm Alleinsein wie ein Sturm über ihm zusammenbricht? Ich ahne ja nicht, dass dieses schüchterne kleine Mädchen, dass im Bus immer in der letzten Reihe sitzt und gedankenverloren aus dem Fenster schaut, diejenige ist, die einen Ozean für mich überqueren würde. Während andere nicht einmal über eine Pfütze für mich springen würden, wenn ich kurz vorm Ertrinken bin. 

Es gibt nur eine Möglichkeit, ebendies herauszufinden. Hin und wieder sollten wir unseren Stolz in die Tasche stecken, von unserem hohen Ross herunterkommen und unser Gegenüber als das Betrachten was es ist: 

Ein Individuum. Schillernd, bunt und vielfältig wie das Leben selbst. Mal laut. Mal leise. Mal lachend. Mal weinend. Am Ende des Tages sind wir doch irgendwie alle gleich! 

 

Denn du, ich, die anderen – wir nennen uns Mensch.